Das Ermächtigungsgesetz ebnete der NS-Diktatur den Weg.
Allein die SPD stimmte im Reichstag dagegen.
Von Renate Faerber-Husemann
Am 23.März 1933 schaffte sich die Demokratie in Deutschland mit 444 gegen 94 Stimmen selbst ab und entschied sich für die braune Diktatur.
Das "Ermächtigungsgesetz" gab der Regierung das Recht, Gesetze zu erlassen, auch verfassungsändernde. Das war das Ende der Demokratie. Nur die SPD stimmte - geschlossen - gegen das Gesetz. 26 SPD-Abgeordnete fehlten. Sie waren in den Tagen vor der Abstimmung zusammengeschlagen worden, waren auf der Flucht ins Exil oder verhaftet. Der schwer verletzte Julius Leber war direkt vor der Krolloper, dem Ausweichquartier des Parlaments nach dem Reichstagsbrand, in Fesseln abgeführt worden.
Die 81 Abgeordneten der KPD waren schon in den Wochen zuvor – soweit sie nicht mehr untertauchen konnten – verhaftet worden. Die Nazis hatten ihnen die Schuld am Reichstagsbrand in die Schuhe geschoben.
Es gehörte grenzenloser Mut dazu, in dieser aufgeheizten Stimmung für die Demokratie einzutreten. Schon auf dem Weg zum Saal waren die Sozialdemokraten einem Spießrutenlauf durch brüllende SA-Horden ausgesetzt. Im Reichstag selbst wurden sie flankiert von bewaffneten SA- und SS-Männern, was selbstverständlich so illegal war wie die Hakenkreuzfahnen an den Wänden.
Otto Wels wuchs über sich hinaus
Nach dem im Braunhemd erschienenen Adolf Hitler sprach Otto Wels, der damals 60jährige SPD-Vorsitzende und Fraktionschef der Sozialdemokraten. Diese Rede ist in die Schulbücher eingegangen. Otto Wels, an sich kein großer Redner, wuchs über sich selbst hinaus mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer für die Demokratie. Ständig unterbrochen durch die Pöbeleien der Nazis, durch Gelächter und "Heil"-Rufe sagte er bis heute unvergessene Sätze: "Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten." Und dann der Satz, der auch heute noch Gänsehaut verursacht: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht."
Wels hatte mit dieser Rede Hitler so herausgefordert, dass dieser bei seiner Entgegnung nur noch geiferte, mit einer – so der Historiker Peter Steinbach – "geradezu rasenden Polemik" reagierte.
Auch Theodor Heuss stimmte zu
Hermann Göring verkündete das durch Gewalt, Erpressung und Tricks zustande gekommene Ergebnis. Die NSDAP-Abgeordneten drängten zusammen mit den SA-Leuten nach vorne und sangen das Horst-Wessel-Lied. Die Demokratie war abgeschafft.
Jakob Kaiser, christlicher Gewerkschafter und Zentrumsmitglied, der – wie der Liberale Theodor Heuss und viele andere Demokraten – ebenfalls zugestimmt hatte, schrieb später: "Ich hätte in den Boden versinken mögen, denn die Haltung von Otto Wels war politisch und moralisch die einzig mögliche Haltung."
Mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes bekam ein legales Mäntelchen, was seit einer illegalen Verordnung nach dem Reichstagsbrand schon Realität war: Zahlreiche Verfassungsrechte waren nach dem 27.Februar außer Kraft gesetzt worden, die Pressefreiheit, die freie Meinungsäußerung, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Menschen waren willkürlich verhaftet und in geheimen Folterkellern gequält worden.
Nur wenige Wochen nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes musste Otto Wels ins Exil nach Prag fliehen, wo er die Exil-SPD aufbaute. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1938 fand er Asyl in Paris. Die Befreiung vom Naziterror erlebte er nicht mehr. Er starb im September 1939, zwei Wochen nach dem Überfall der Deutschen auf Polen.
Aus "vorwärts", die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie 03/2013 S. 25